Lernen mit Videointerviews
Zur Verwendung von Audio- und Videointerviews in der schulischen und außerschulischen Bildung
1) Sich Zeit nehmen
Rezepient*innen von Interviews hören und sehen, wie Menschen sich erinnern und ihre Biografie erzählen. Diese Berichte können eine starke
Wirkung auf das Publikum entfalten. Sich auf diese Art historisches Wissen anzueignen unterscheidet sich deutlich von anderen Formen
des Lernens.
Interviews tragen dazu bei, Geschichte eine menschliche Dimension zu geben. Dies macht sie zu einem einzigartigen Medium für das Lehren
und Lernen über den Holocaust, über die Verfolgung von Juden und Jüdinnen, von Roma und Romnja, Homosexuellen, als "asozial" und
"behindert" Klassifizierten während des Nationalsozialismus allgemein. Die Stärken dieser Quelle zeigen sich am deutlichsten, wenn diese
Erzählungen nicht nur dazu dienen, historische Fakten zu illustrieren, sondern die Eigenart dieses Mediums aufgegriffen wird.
Diese Quellen im Unterricht sinnvoll einzusetzen braucht jedoch Zeit.
2) Die Eigenarten der Quelle aufgreifen
Der Gebrauch audiovisueller Zeugnisse sollte sich nicht darauf beschränken, zu analysieren, was der oder die Interviewte erzählt.
Es lohnt sich, die Aufmerksamkeit der Lernenden auch darauf zu lenken, wie eine Person die eigene Geschichte erzählt, welche Mimik,
Gestik sie einsetzt, wie die Stimme des oder der Interviewten klingt.
3) Die Entstehungsgeschichte der Quelle beachten
Der größte Teil audiovisueller Zeitzeug*inneninterviews wurde erst in den 1990er Jahren aufgezeichnet. Zu dieser Zeit waren die
Überlebenden im fortgeschrittenen Alter und blickten auf Erfahrungen zurück, die Jahrzehnte zurücklagen. Darüber hinaus ist das
audiovisuelle Zeugnis immer Ergebnis eines Kommunikationsprozesses: Fragestellungen und (non) verbale Reaktionen des oder der
Interviewer*in beeinflussten das Resultat erheblich. Der Ort des Interviews, sei es ein Büro oder eine persönlichere Umgebung, wirkt sich
darüber hinaus auf Gesprächsatmosphäre und Erzählung des oder der Interviewten aus. Dies gilt es zu berücksichtigen.
4) Die gesamte Lebensgeschichte abdecken
Wegen zeitlicher Einschränkungen ist es meist nicht möglich, Interviews während des Unterrichts in voller Länge abzuspielen. Allerdings zeigen
Erfahrungen aus der Praxis, dass Zuhörende und Zuschauende durchaus den Wunsch äußern, mehr über das Leben der Überlebenden zu
erfahren. Sie interessieren sich häufig auch für das Leben der Interviewten vor und nach der nationalsozialistischen Verfolgung.
5) Die Zeitzeugenschaft kontextualisieren
Um Schüler*innen für die Stärken und Schwächen der Quelle zu sensibilisieren, sollten Zeitzeug*innenberichte gemeinsam mit zusätzlichem
Material gezeigt werden, etwa autobiografischen Dokumenten wie Fotos ebenso wie Quellen über die im Interview genannten historischen Fakten.
Dieses Material ergänzt das audiovisuelle Zeugnis um weitere Perspektiven.
6) Erwartungen reflektieren
Die meisten Lernenden sind schon vor der ersten Unterrichtseinheit mit Video- oder Audiointerviews mit Filmen und Fernsehberichten über den
Holocaust in Kontakt gekommen. Mitunter haben sie daher Erwartungen an Überlebende und deren Erzählungen. Werden diese Erwartungen
nicht erfüllt, sollten mögliche Irritationen offen diskutiert werden. Lehrkräfte bringen meist ebenso Erwartungen mit, wie Schüler*innen auf
audiovisuelle Zeugnisse angemessen reagieren sollten. Es gilt auch, sich dieser Erwartungen gewahr zu werden und sie gegebenenfalls zu hinterfragen.
7) Möglichkeiten zur abschließenden Zusammenfassung bieten
Sich genügend Zeit für Zeitzeug*inneninterviews zu nehmen, bedeutet, Lernenden Gelegenheiten zu geben, ihre Meinungen, Eindrücke und Gefühle
auszusprechen und zu teilen, sollte hierzu der Wille und Bedarf bestehen. Von den vielen Methoden, dies zu tun (diskutieren, schreiben, zeichnen,
bildhauerisch formen, schauspielern, …), kann die geeignetste gewählt und den speziellen Bedürfnissen der jeweiligen Gruppe und Schülern
angepasst werden.